Es gibt nicht viele Menschen, die die Fähigkeit besitzen, gesellschaftliche Veränderungen zu steuern und die verschiedenen Kräfte, die den Wandel vorantreiben, zusammenzuführen. Und noch seltener gelingt es jemandem, einen solch grundlegenden Wandel herbeizuführen.

Alfred Escher war der Mann, der die heutige Schweiz geprägt und einige der bedeutendsten wirtschaftlichen Entwicklungen in der Geschichte des Landes eingeleitet hat. Sein Wirken hat Grenzen und Berge überschritten und weltweit Spuren hinterlassen – und der Schweiz damit die Tür zur Welt geöffnet. Und trotz seines enormen Einflusses ist er im Ausland noch immer relativ unbekannt. Wer war diese rätselhafte Figur?

Alfred Escher, der Schweizer Unternehmer und Visionär
Quelle: NZZ

Alfred Escher war von Beruf weder Bankier noch Ingenieur noch Architekt, doch er war unbestreitbar ein Visionär. Escher knüpfte Verbindungen zwischen dem Bankwesen, der Politik, dem Bildungswesen und der Eisenbahn – dem Fundament der heutigen Schweiz.

Obwohl seine Bedeutung im 19. Jahrhundert heute allgemein bekannt ist, geriet sein Name im letzten Jahrhundert in Vergessenheit. So war er beispielsweise bei der Einweihung des Gotthardtunnels, dem längsten Eisenbahntunnel der Welt und einem Projekt, das von ihm geleitet wurde, nicht anwesend. In diesem Artikel stellen wir Ihnen Alfred Eschers aussergewöhnlichen Lebensweg und seinen bedeutenden Beitrag zur Gestaltung der heutigen Schweiz vor.

Eine traditionsreiche Familie erwies sich als verhängnisvoller Fluch und Segen zugleich

Alfred Escher wurde 1819 als Sohn einer der angesehensten Familien des alten Zürichs geboren, einem Zweig der Escher vom Glas. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert trugen sie zum Aufschwung und zur Prosperität der Zürcher Wirtschaft bei. Das Ansehen des Escher-Clans in der Zürcher Gesellschaft schwand jedoch durch den Konkurs von Alfreds Grossvater infolge von Spekulationen, die die halbe Stadt zerstörten, und durch den Wegzug seines Vaters aus der Stadt, weil er die Schulden der vorangegangenen Generationen nicht mehr bezahlen konnte.

Diese Ereignisse hätten sich auch auf künftige Generationen auswirken können, doch Alfred Escher distanzierte sich von den Fehltritten seiner Vorfahren, indem er sich für die Schweizer Gesellschaft stark machte. Er erkannte, dass transformative Visionen oft die Bereitschaft erfordern, etablierte Normen in Frage zu stellen, und dass der Wandel oft von Individuen vorangetrieben wird, die ausserhalb der konventionellen Systeme wirken.

Alfred Escher mit seinen Eltern Heinrich und Lydia Escher-Zollikofer, Schwester Clementine und Schwager Caspar Stockar-Escher und deren Söhne Armin und Egbert (September 1846)
Quelle: Zentralbibliothek Zürich

„König Alfred I.“: Die Entstehung der heutigen Schweiz

Aufgrund des Zerwürfnisses zwischen dem Escher-Clan und dem konservativen Zürich war klar, dass Alfred innerhalb der konservativen Partei keine politische Karriere machen konnte. Es blieb ihm daher nur eine Alternative: Er schloss sich den Radikalliberalen an, die eine neue, von alten Traditionen befreite Schweiz schaffen wollten.

1844 sicherten sich die Radikalliberalen die Mehrheit in Zürich und gewannen auch in anderen Kantonen die Macht. Beflügelt von ihren fortschrittlichen Idealen und beeinflusst von den liberalen Bewegungen in ganz Europa, legten sie 1848 den Grundstein für einen neuen Bundesstaat mit Bern als Bundesstadt, ähnlich einer Hauptstadt. Mit nur 29 Jahren wurde Alfred Escher in den Nationalrat gewählt und stieg ein Jahr später zum Präsidenten auf, dem höchsten öffentlichen Amt der Schweiz.

Gefeiert als eine der einflussreichsten politischen Persönlichkeiten der Schweiz, trug Escher Beinamen wie „König Alfred I.“ und „Eisenbahnkönig“, auch wenn diese oft als Kritik an seinem grossen Einfluss zu verstehen waren.

Gut zwanzig Jahre lang, zwischen 1845 und 1869, wurde in der Schweiz nichts getan und nichts unterlassen, ohne dass Escher ein gewichtiges, entscheidendes Wort mitgesprochen hat.
— Der Schweizer Zeithistoriker Markus Somm über Alfred Escher in „Der Vaterlandsvater“ für Weltwoche.ch

„Eisenbahnkönig“: Ein Goldrausch, an den anfangs niemand glaubte

Der Beiname „Eisenbahnkönig“ spielt auf seinen Einfluss bei der Entwicklung des schweizerischen Eisenbahnnetzes an. Diese wirtschaftlich liberale Ära, in der Escher Präsident des Nationalrats war, bot eine einzigartige Gelegenheit, etwas Neues zu schaffen – und Escher ergriff sie. Er erkannte, dass die Schweiz fortschrittlicher werden musste. Ein solcher Schlüsselbereich war die Entwicklung des Eisenbahnverkehrs, der zu dieser Zeit in den umliegenden europäischen Staaten aktiv gefördert wurde, nicht aber in der Schweiz.

Alfred Escher eröffnete die Debatte und warnte die Mitglieder des Nationalrats vor der Gefahr, dass die Schweiz „völlig umgangen wird und ihr in Zukunft nichts anderes übrig bleibt, als der Welt das traurige Gesicht eines vergessenen Hinterlandes Europas zu präsentieren.“

Es tauchen Pläne auf, gemäss denen die [europäischen] Bahnen um die Schweiz herumgeführt werden sollen. Der Schweiz droht somit die Gefahr, gänzlich umgangen zu werden und infolgedessen in der Zukunft das traurige Bild einer europäischen Einsiedelei darbieten zu müssen.
— Rede von Alfred Escher vor der Nationalversammlung am 12. November 1849

Weil nur wenige daran glaubten, dass die Eisenbahn das Wirtschaftswachstum des Landes ankurbeln würde, entbrannte eine hitzige Debatte. Escher setzte sich dennoch vehement dafür ein. Die entscheidenden Fragen, wie und wo das Eisenbahnnetz gebaut werden sollte und wer dafür verantwortlich sein würde, wurden schliesslich drei Jahre später im Eisenbahngesetz von 1852 geklärt.

Die Entscheidung, den Bau und den Betrieb der Bahn in private Hände zu legen, führte zu einem Rausch, vergleichbar mit dem Goldrausch. Es entstanden massenhaft private Eisenbahngesellschaften, die um die besten Strecken buhlten. Innerhalb bemerkenswert kurzer Zeit entstanden verschiedene konkurrierende Eisenbahnunternehmen, darunter die Schweizerische Nordostbahn unter der Leitung von Alfred Escher, der damit sein Vermächtnis als treibende Kraft hinter der Expansion der Schweizer Eisenbahn festigte.

Eine Holzskulptur von Alfred Escher, wie sie auf der Fahrt durch den Gotthard-Eisenbahntunnel zu sehen ist
Quelle: Credit Suisse

Auf diese Weise konnte die Schweiz die Kluft zwischen ihr und den ausländischen Betreibern rasch überwinden. Es stellten sich jedoch zwei neue Herausforderungen: die Finanzierung der Bahn und die Ausbildung der künftigen Arbeitskräfte.

Die Entscheidung, die die Schweiz zum grössten Finanzplatz Europas gemacht hat

Alfred Escher erkannte bald, wie kapitalintensiv der Eisenbahnbau war. Die nötigen Mittel konnten zwar leicht aus dem Ausland beschafft werden, aber die Abhängigkeit von ausländischen Investoren widersprach seiner Vision einer unabhängigen Schweiz. Er war der Meinung, dass die Schweizer Banken und Bürger die Entscheidungen über Eisenbahnstrecken und -projekte diktieren sollten. Aus diesem Grund gründete Escher 1856 eine neue Investitionsbank, die Schweizerische Kreditanstalt, die heutige Credit Suisse.

Damals ahnte man noch nicht, dass dieser Schritt die Finanzlandschaft revolutionieren und die Schweiz zum wichtigsten Finanzplatz Europas machen würde. Die Gründung der Kreditanstalt war ein wichtiger Meilenstein, denn sie war die erste Grossbank, die nicht nur in Zürich, sondern in der ganzen Schweiz Projekte unterstützte.

Der Hauptsitz der Schweizerischen Kreditanstalt, der Vorgängerin der Credit Suisse, am Paradeplatz im Jahr 1883 und die Credit Suisse im Jahr 2023
Quelle: NZZ, Yahoo Finance

Dies führte später zur Gründung der ersten Versicherungsgesellschaft der Schweiz, der Swiss Life, die das Kapital der Bank als Sicherheit einsetzte. Im Jahr 1863 kam mit Eschers Unterstützung die Rückversicherungsgesellschaft Swiss Re hinzu, die das Trio als Säulen der Schweizer Versicherungs- und Finanzkompetenz weiter festigte.

Der erste Eckpfeiler der Höheren Polytechnischen Ausbildung in Zürich

Anstatt die Nation mit Schulden zu belasten, führten Eschers Initiativen zu einem Anstieg der Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Infrastrukturprojekte schufen eine hohe Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften und sorgten für mehr Arbeitsplätze. Die Eisenbahnprojekte erleichterten ihrerseits den Handel und den effizienten Transport und trugen so weiter zum wirtschaftlichen Wohlstand bei.

Darüber hinaus spielte Alfred Escher eine wichtige Rolle im Schweizer Bildungswesen. Seine Vision war es, qualifizierte Arbeitskräfte, wie beispielsweise Ingenieure, auszubilden, um die Entwicklung der Eisenbahn zu unterstützen. Er setzte sich für die Gründung der Eidgenössischen Polytechnischen Hochschule, heute bekannt als ETH Zürich und eine der führenden Universitäten der Welt, ein.

Das Hauptgebäude der Eidgenössischen Polytechnischen Hochschule im 19. und 21. Jahrhundert
Quelle: ETH Zurich, Alamy

Das grösste Projekt ging auf Kosten der Karriere

Trotz des Ausbaus des schweizerischen Eisenbahnnetzes in den 1850er Jahren gab es eine kritische Lücke in der Infrastruktur der Verbindungen mit dem weiteren europäischen Netz – eine nennenswerte Nord-Süd-Verbindung. So begann das ehrgeizige Projekt des Gotthardtunnels, für das sich Escher mit all seinen wirtschaftlichen und politischen Mitteln einsetzte. Escher war der festen Überzeugung, dass die Schweiz ohne eine alpentraversale Eisenbahnlinie vom Weltverkehr isoliert bleibt, ähnlich einer einsamen Insel.

Die Schweiz würde ohne eine den Wall ihrer Alpen durchbrechende Eisenbahn zu einem von dem grossen Weltverkehr umgangenen und verlassenen Eilande herabsinken.
— Worte aus Alfred Eschers privatem Tagebuch

Die Bauphase des Projekts war mit zahlreichen Herausforderungen verbunden und Escher sah sich zunehmender Kritik ausgesetzt. Diese veranlasste ihn schliesslich dazu, als Präsident der Gotthardbahn-Gesellschaft, die das Projekt leitete, zurückzutreten.

Die Eröffnung der Gotthardlinie 1882
Quelle: swissinfo.ch

Als dieses bahnbrechende Projekt schliesslich vollendet und der Gotthardtunnel 1882 feierlich eingeweiht wurde, war Escher zutiefst verletzt, dass er trotz seines Mitwirkens weder vom Verwaltungsrat eingeladen noch sein Name bei der Eröffnung erwähnt wurde. Diese Ereignisse hatten seine Gesundheit stark in Mitleidenschaft gezogen und er starb kurz darauf. Eschers Vermächtnis bleibt jedoch bestehen, denn er hat entscheidend dazu beigetragen, die Schweiz in die Weltwirtschaft zu integrieren und sie damit aus der wirtschaftlichen Isolation zu befreien.

Fazit

Heute ist Alfred Eschers Vermächtnis in Unternehmen wie der Nordostbahn, der Credit Suisse und der Swiss Life zu finden. Eine Statue zu seinen Ehren steht vor dem Zürcher Hauptbahnhof, mit Blick auf die Bahnhofstrasse und den Paradeplatz, das Geschäfts-, Finanz- und Handelszentrum Zürichs. Trotz harscher Kritik und Widerstände führte Escher die Dampfeisenbahn in der Schweiz ein und förderte damit die Entwicklung der Schweizer Wirtschaft. Bis heute ist die Schweiz eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt, was zu einem grossen Teil Alfred Eschers visionärem Weitblick zu verdanken ist.

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